Du bist, wohin du gehst – Wie wir unser Spatial Self konstruieren

Während in den letzten zwei Beiträgen der Raum und Ort im Vordergrund standen, soll es in diesem Blogbeitrag um den Menschen gehen, der sich im Raum bewegt und sich an verschiedenen Orten aufhält. Die Funktion des Geo Tags bei Instagram lässt nämlich nicht nur Rückschlüsse auf die getaggten Orte zu, sondern auch auf die taggenden User*innen. Es geht also um die Fragen, wie und warum User*innen sich mithilfe von getaggten Orten in den sozialen Medien selbst inszenieren und welche Rückschlüsse wir auf die Bedeutung von Orten ziehen können.

Wie bereits im ersten Blogbeitrag bei der Frage danach, warum wir soziale Medien nutzen, erwähnt, liegt ein Schwerpunkt der User*innen auf der Identitätskonstruktion bzw. dem Identitätsmanagement. Beim Anlegen einer Profilseite und dem regelmäßigen Posten von Fotos konstruieren die Nutzer*innen eine mediale Identität. Sie setzen sich mit der Frage auseinander, wer sie sind, und drücken ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe aus. Dabei steckt diese Selbstinszenierung immer in einem kulturellen Rahmen und ist an gesellschaftliche Normen gebunden (Schmidt und Taddicken 2017: 32).

Wir gehen übrigens heute von multiplen Identitäten aus. Denn je nach sozialem, politischem, kulturellem und, damit gekoppelt, räumlichem Kontext verläuft unser Identifikationsprozess unterschiedlich. Unsere Identitäten leben wir je nach Situation und Raum unterschiedlich aus. Ich kann gleichzeitig Studentin, Tochter, Demonstrantin oder Touristin sein – je nachdem wo und in welchem Kontext ich mich gerade befinde (Korf und Wastl-Walter 2016: 91).

Die mediale Identität kann vielfach deckungsgleich mit derjenigen sein, die Nutzer*innen im „echten“ Alltag ausleben – muss aber nicht. Sie kann auch nahezu unabhängig und ohne Verbindungspunkte existieren. Ob eng gekoppelt oder nicht hängt vom jeweiligen Nutzungskontext ab. Die Konstruktion unserer Identitäten ist ein nie endender Prozess. Soziale Medien bieten eine interessante Möglichkeit, dieser Konstruktion Ausdruck zu verleihen. Zu beachten ist dabei, dass die Online-Identität nicht „weniger real“ als unsere Offline-Identität ist[1]. Egal ob online oder offline, Identitäten an sich lassen sich nicht fassen und hängen vielmehr von der Selbst- und Fremdwahrnehmung ab. Hierbei kann man nach der Authentizität der Selbstdarstellung fragen und inwiefern diese mit der Selbst- bzw. Fremdwahrnehmung übereinstimmt (Kneidinger-Müller 2017: 62 f.; 69).

Social-Media-Plattformen ermöglichen räumliche Identitätskonstruktionen

Zurück zum Geo Tag, denn mithilfe dieser Funktion untersuchen Schwartz und Halegoua (2014) die Konstruktion des Spatial Self, also sozusagen die räumliche Identitätskonstruktion. Sie gehen davon aus, dass die Visualisierung physischer Aktivität und Mobilität auf Social-Media-Plattformen ein Ausdruck des Spatial Selfs ist. Das Spatial Self bezieht sich damit z.B. auf Postings, in denen User*innen ihren Aufenthalt an einem Ort oder innerhalb eines Raums dokumentieren und mit anderen teilen, und damit ihre Selbstdarstellung inszenieren und letztendlich ihre Identität konstruieren (Schwartz und Halegoua 2014: 644).

Es gibt inzwischen zahlreiche Untersuchungen zur Identitätskonstruktion und Selbstdarstellung auf Social-Media-Plattformen. Dass dabei die Funktion des Geo Tags als Analyse-Werkzeug herangezogen werden kann, fand bis dato jedoch weniger Beachtung.

However, “presentation of place” tends to focus on the impressions of a physical place provided by its visitors or the social construction of place through location-based social media, rather than the harnessing of place to perform identity to a social network (Schwartz und Halegoua 2014: 645).

Ein wichtiger Ansatz, um die (räumliche) Identitätskonstruktion besser zu verstehen, ist die Theorie der Performativität. Dabei geht es nach John L. Austin um die handlungspraktische Dimension des Sprechens, d.h. das, was wir gesagt haben, zu vollziehen oder zu produzieren, statt es lediglich nur zu bezeichnen. Für die Philosophin Judith Butler bedeutet Performativität ein wiederholtes Aussprechen, das eine produktive Wirkung auf die soziale Realität ausübt. Mit dem Satz „Es ist ein Mädchen!“ werden bspw. bei der Geburt durch einen Sprechakt dem Baby eine Geschlechtsidentität und damit einhergehende gesellschaftliche Normen zugewiesen (Schmidt 2013). Unsere multiplen Identitäten werden daran anlehnend situativ performiert – je nach Kontext und Raum lebe ich meine „Bezeichnung“ bzw. Identität als „Tochter“ oder als „Studentin“ aus (Korf und Wastl-Walter 2016: 91).

Das Spatial Self als sozio-kulturelle Praktik

In Zusammenhang mit Social-Media-Plattformen stellt das Posten des Ortes, wo sich der*die User*in befindet, nicht nur eine Information des Aufenthalts für Andere dar. Vielmehr geht damit auch die Information einer Stimmung, eines Lifestyles oder einer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe einher. Das Taggen von bestimmten Orten auf Instagram und die damit einhergehende Darstellung des Spatial Self kann also auch als performativ betrachtet werden (Schwartz und Halegoua 2014: 646 f.).

Die digitale Darstellung des Spatial Self ist heutzutage ein alltägliches Mittel unserer räumlichen Praktiken und der sozialen Produktion des Raums. Instagram macht es Nutzer*innen möglich, ihren Standort in Echtzeit mit unterschiedlichen sozialen Gruppen zu teilen. Dabei ist das Spatial Self kein einfaches Nebenprodukt bei der Nutzung von Social-Media-Plattformen, sondern eine sozio-kulturelle Praktik der Selbstpräsentation, die mit einer dynamischen oder auch idealisierten Performanz der User*innen einhergeht: Du bist, wohin du gehst. Die Konstruktion des Spatial Self auf Social-Media-Plattformen basiert dabei auf bewusst ausgewählten Darstellungen. User*innen teilen mit ihrer Online-Community nicht jeden Ort, an dem sie sich aufhalten. Vielmehr wählen sie bewusst die Orte aus, mit denen sie ihre Identität repräsentieren möchten (Schwartz und Halegoua 2014: 647 f.).

Auch wenn in diesem Beitrag der Mensch im Fokus stehen soll, kommt den getaggten oder dargestellten Orten natürlich eine nicht minder wichtige Rolle zu. Denn die Charakteristika der Orte wirken auf das Spatial Self zurück und formen dessen Eigenschaften. Der Sense of Place ist ein soziales Konstrukt, das auf Zuschreibungen, Atmosphären oder Erinnerungen basiert. Wenn User*innen sich dafür entscheiden, den Aufenthalt an einem bestimmten Ort zu posten, identifizieren sie sich mit dem Sense of Place und teilen ihre Zugehörigkeit zu den Werten und sozialen Gruppen, die dadurch repräsentiert werden (Schwartz und Halegoua 2014: 649).

Urlaub, Essen, Kiez – Das Spatial Self auf Instagram

Um das Spatial Self etwas anschaulicher zu machen, habe ich mir das Instagram-Profil von Ada Blitz (Accountname: bangpowwww) näher angeschaut. Ada Blitz ist freie Autorin, wohnt in Berlin und postet auf Instagram nahezu täglich Bilder aus ihrem Leben (vgl. Abb. 1-4).

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Abb. 1-4: Screenshots von Posts von Ada Blitz (Instagram 2018).

Ada Blitz taggt fleißig die Orte, an denen sie sich aufhält, und konstruiert so mit ihren Postings ihr Spatial Self. Am häufigsten findet man Geo Tags aus „ihrem Kiez“ in Berlin, also überwiegend den Stadtteilen Neukölln und Kreuzberg. Dort hält sie sich auch oftmals im Freien auf, z.B. im Park am Gleisdreieck oder im Tempelhofer Park. Eine besondere Leidenschaft, die sich aus ihren Postings herauskristallisiert, ist das Kochen und Essen. Sie taggt Orte und Restaurants, wo sie gutes Essen findet, und lässt ihre Follower durch die Postings an ihrem Genuss teilhaben. Dazu kommen Geo Tags aus ihren Urlauben, z.B. in New York oder Tel Aviv.

Durch die Geo Tags lässt sich Ada Blitz´ Mobilität nachvollziehen. Sie konstruiert durch die getaggten Orte ihr Spatial Self und vermittelt uns damit eine ihrer Identitäten, die jede*r von uns schließlich unterschiedlich wahrnimmt. Auch ich habe durch das obige Beschreiben ihrer Postings daraus geschlossen, dass sie gerne in Restaurants, Imbissbuden oder auf Märkte geht, da sie sehr häufig Bilder von diesen Orten postet. Das mediale Spatial Self ist ein interessanter Ansatz, die Identitätskonstruktion zu untersuchen, und Instagram bietet dafür schließlich ein geeignetes Analyse-Werkzeug.

 

 


[1] Was nun jetzt real ist und was nicht, das weiß sowieso niemand so genau. Ich erst recht nicht.

 


Literatur und Quellenverzeichnis:

Instagram (2018): Screenshots von Posts von Ada Blitz. Internet: https://www.instagram.com/bangpowwww/ (14.09.2018)

Kneidinger-Müller, B. (2017): Identitätsbildung in sozialen Medien. In: Schmidt, J. und M. Taddicken (Hg.) (2017): Handbuch soziale Medien. Wiesbaden: Springer VS (Springer Reference Sozialwissenschaften), S. 61–80.

Korf, B. und D. Wastl-Walter (2016): Kultur und Politik. In: Freytag, T., H. Gebhardt, U. Gerhard und D. Wastl-Walter (Hg.) (2016): Humangeographie kompakt. Berlin, Heidelberg: Springer Spektrum, S. 89–114.

Schmidt, J. und M. Taddicken (2017): Soziale Medien: Funktionen, Praktiken, Formationen. In: Schmidt, J. und M Taddicken (Hg.) (2017): Handbuch soziale Medien. Wiesbaden: Springer VS, S. 23–37.

Schmidt, M. (2013): Performativität. Hg. v. Gender Glossar / Gender Glossary (8 Absätze). Internet: https://gender-glossar.de/glossar/item/22-performativitaet (14.09.2018).

Schwartz, R. und G. Halegoua (2014): The spatial self. Location-based identity performance on social media. In: New Media & Society 17 (10), S. 1643–1660. DOI: 10.1177/1461444814531364.